9. August 2014 Parascha Waetchanan Deuteronomium 3:23-7:11 Von Genuss und Heiligkeit

04.08.2014 11:43

Im Wochenabschnitt Waetchanan wird über den letzten Versuch Mosches, G-tt zu überzeugen, ihn in das Land Israel einziehen zu lassen, berichtet. G-tt hat ihm verboten, nochmals danach zu fragen. So darf Mosche nur von Weitem das Land bewundern und muss die Führung des Volkes an Jehoschuah übergeben. Mosche legt drei Zufluchtsstätten für die unabsichtliche Mörder jenseits des Jardens fest. Die Sinai-Erfahrung wird wieder in Erinnerung gerufen, und die zehn Gebote werden wiederholt. Mosche bereitet nun das Volk auf den Einzug in das Land Israel und auf die damit verbundenen kriegerischen Auseinandersetzungen mit den einheimischen Völkern vor.

Im vierten Kapitel von Deuteronomium, Vers 5, sagt Mosche zum jüdischen Volk: „Seht, ich habe euch Gesetze und Rechtsvorschriften gelehrt, wie es mein G-tt mir befohlen hat, damit ihr sie in der Mitte des Landes ausübt“.

Viele Menschen meinen, dass man sich komplett von der körperlichen Welt absondern müsse, um ein heiliges Leben führen zu können.  In verschiedensten Religionen streben die Menschen nach Heiligkeit, in denen sie sich bewusst von Genüssen trennen und sich Entbehrungen auferlegen. So darf man in manchen Religionen als „Heiliger“ nicht heiraten, oder generell keinen Alkohol verzehren. Manche legen ein Schweigegelübde ab, anderen praktizieren sehr lange Fastenperioden. So versuchen die Menschen sich von der körperlichen Welt zu distanzieren, um der geistigen Welt näher zu sein.

Dem Judentum ist dieses asketische Denken jedoch sehr fremd. Das Judentum sagt, dass es unsere Aufgabe ist, die Heiligkeit und das Geistige in die körperliche Welt, in der wir leben, zu bringen. Wir dürfen uns nicht von der körperlichen Welt trennen, wir müssen sie heiligen. Aus diesem Grund ist es für jeden Mann ein Gebot, im Judentum zu heiraten. Alle unsere religiösen Zeremonien, wie Hochzeit, Beschneidung, Kiddusch, Hawdala werden mit Wein begleitet, und es ist ein Gebot, Festmahlzeiten zu den Feiertagen und besonderen heiligen Anlässen wie Beschneidung oder Hochzeit, oder selbst bei einem Sium (Beendigung des Lernens eines Talmudtraktates), zu veranstalten. Diese Idee ist auch im obengenannten Vers enthalten, indem Mosche sagt, dass die Gebote in der Mitte des Landes ausgeübt werden sollen. Das heißt, dass diese Gebote zum Teil des alltäglichen Lebens werden sollen und dass das Judentum nicht nur eine Religion, sondern auch eine Lebensweise sein soll.

Tatsächlich ist es so, dass die Gebote im Judentum sich in jedem Bereich des menschlichen Lebens wiederfinden. Nicht nur in einer Synagoge, sonder auch Zuhause, auf Arbeit oder draußen auf der Straße. Wir werden überall von unseren Geboten begleitet.

Man könnte hier gleichwohl  die Frage stellen, was uns die Tora in Numeri  6: 2–11 und der dazugehörige Talmud-Traktat zum Nasir sagen wollen? Die Tora erklärt, dass ein Nasir sich für dreißig Tage vom Wein und anderen körperlichen Genüssen trennen soll und kann. Also doch ein typisches Beispiel von Asketismus?

Rambam vergleicht diese Situation mit einem Baum. Wenn wir sehen, dass ein Ast in eine falsche Richtung wächst, dann binden wir ihn für eine Weile so, dass er in die entgegengesetzte Richtung geneigt wird. Wenn wir den Ast nach einer Weile wieder losbinden, wird er wieder gerade.

Genauso ist es mit einem Nasir. Wenn ein Mensch sieht, dass er von der körperlichen Welt zu sehr angezogen wird, und dass sie anfängt ihn zu beherrschen, soll er sich für eine Weile von ihr trennen, um den Ausgleich in sich zu schaffen. Doch dem Judentum nach ist das kein Idealzustand, und aus diesem Grund muss ein Nasir, nachdem die Zeit seiner Abstinenz abgelaufen ist, ein Sühneopfer bringen. Doch womit hat er denn gesündigt, er wollte doch nur in Heiligkeit leben? Seine Sünde bestand darin, dass er sich von den Genüssen der körperlichen Welt, die uns von G-tt zur Verfügung gestellt wurden, abwendete.

Wir sollen die körperliche Welt genießen, dafür wurde sie uns gegeben. Und um uns zu erheben, brauchen wir es nicht, uns von der körperlichen Welt zu trennen, denn wir haben die Kraft, die materielle Welt zusammen mit uns zu erheben, indem wir sie heiligen. Aus diesem Grund sagt der Talmud aber auch, dass es verboten ist, von der körperlichen Welt zu genießen, ohne einen Segenspruch zu sagen. Denn mit Hilfe des Segenspruches transformieren wir den körperlichen Genuss in eine Heiligung der materiellen Welt.