"Das hat eine ganz neue Dimension" BZ-GESPRÄCH mit Gemeinderabbiner Abraham Radbil und Dompfarrer Wolfgang Gaber: Beide sind seit einem halben Jahr im Amt.

16.04.2013 16:46

Die zwei Neuen in zwei wichtigen Freiburger Gemeinden trafen sich während der aktuellen "Woche der Brüderlichkeit" zu einem Gespräch. Ortsrabbiner Abraham Radbil, seit September in Freiburg, und Dompfarrer Wolfgang Gaber, seit September Gemeindepfarrer im Münster, machten, was die Woche der Brüderlichkeit anstrebt: in den Dialog treten mit dem anderen. Julia Littmann befragte beide zu den Eindrücken der ersten Monate im jeweils neuen Amt. BZ: Was ist schwieriger – mit der eigenen Gemeinde ins Gespräch zu kommen, die erst noch in ruhige Fahrwasser rudert? Oder spricht sich’s leichter mit Vertretern der je anderen Religion?
Abraham Radbil: Natürlich scheint es immer einfacher zu sein, mit denen entspannt zu reden, mit denen man nicht jeden Tag zu tun hat. Das kennt jeder. Und ein bisschen waren die Gespräche in der Gemeinde am Anfang geprägt von dem Bemühen, mich nicht zwischen die Stühle zu setzen. Das hat was von der Diplomatie wie in einer Familie – wo man nichts falsch machen will. Das war ganz am Anfang so, es hat sich aber dann bald eingespielt.
 

Wolfgang Gaber: Schwierig? Das trifft es für mich überhaupt nicht. Sowohl die Gespräche in der Gemeinde als auch der Kontakt zur benachbarten Jüdischen Gemeinde waren von Anfang an erfreulich für mich. In meiner Pfarrei war ich spürbar erwartet und willkommen – nach der langen Vakanz gab es eine regelrechte Sehnsucht danach, dass wieder ein Pfarrer da ist.

BZ: Im November haben Sie der Jüdischen Gemeinde schon gleich einen Besuch abgestattet, bei der Eröffnung der "Woche der Brüderlichkeit" hat man Sie aber vermisst.
Gaber: Ich wäre auch gerne dabei gewesen, aber ich habe an einer Klausurtagung teilgenommen, die von langer Hand auf dieses Datum geplant worden war. Ansonsten versuche ich natürlich sehr bewusst, auch in der Stadt präsent zu sein. Nur: die Münsterpfarrei und die neuen Aufgaben im Dekanat verlangen viel Einsatz und Einarbeitung von mir.
Radbil: Das kenne ich gut! Ich durchlebe ja diese gleiche Zeit des Ankommens und der Eingewöhnung. Das beansprucht einen sehr. Und irgendwann stellt man fest: Der Tag hat trotzdem nur 24 Stunden. Die füllt man in einer solchen Zeit allerdings auch wirklich komplett aus. Und zwar vor allem damit, mit der eigenen Gemeinde und der neuen Aufgabe vertraut zu werden. Ein bisschen erinnert mich das an eine Vorschrift in der jüdischen Religion. Nach der darf sich der Ehemann im ersten Ehejahr keine Nacht von seiner Frau entfernen. Mit der Gemeinde ist es ein bisschen ähnlich, kommt es mir vor. Im ersten Jahr muss vor allem die Bindung nach innen entstehen und wachsen.
BZ: Und was bekommt der neue Rabbiner beim Blick nach innen zu sehen?
Radbil: In der Synagoge habe ich viel gute Resonanz. Da geht es mir ähnlich wie dem Dompfarrer. Hier schlägt mir eine lebendige, gute Stimmung entgegen. Von den Dingen, die in der Gemeinde Uneinigkeit ausgelöst haben, von der "Politik" in der Gemeinde halte ich mich fern. Und die erfreuliche Resonanz im Haus bestärkt mich in dieser Haltung.
Gaber: Stimmt, auf diese Resonanz horcht man sehr, wenn man auf einer Stelle neu anfängt. Das geht mir genauso. Da horcht man besonders aufmerksam auf die vielfältige Rückmeldung bei den Begegnungen mit ganz unterschiedlichen Menschen – das ist das Ankommen. Nach dem ersten Jahr richtet sich der Blick erfahrungsgemäß dann wieder mehr nach außen. Da hat sich dann alles so eingespielt, dass man sich selbstverständlicher nach außen wendet. Das Bild vom Ehemann, das Sie eben beschrieben haben, das gefällt mir, das trifft es sehr gut!
BZ: Ihre Aufgaben als Gemeinde-Geistliche sind nicht neu für Sie, aber Sie kommen beide aus völlig anderen Arbeitsumgebungen nach Freiburg. Was ist hier anders für Sie?
Radbil: In Köln hatte ich eine Gemeinde mit 4500 Mitgliedern – hier habe ich 700. Da hat man einen viel engeren Kontakt zu den Gemeindemitgliedern.
Gaber: Ich kenne Freiburg ja richtig gut, schließlich habe ich 30 Jahre in dieser Stadt gelebt. Und doch muss ich mich erst richtig bewusst und ganz neu hier reinfinden. Die vergangen zehn Jahre war ich Gemeindepfarrer in Schwetzingen. Das war klein und überschaubar. Jetzt bin ich an einer Bischofskirche – das hat eine ganz neue Dimension.
Radbil: Beide Wechsel stellen einen vor ganz schön große Herausforderungen – insofern haben wir doch beide Glück gehabt: Schließlich wächst man mit seinen Aufgaben, also dürfen wir wachsen!

BZ: Welches sind denn die nächsten großen Aufgaben?
Gaber: Ganz klar, für mich ist es das bevorstehende Osterfest im Münster. Das ist richtig viel, was man da wissen und lernen muss.
Radbil: Das geht mir genauso. Jetzt mit Purim, aber vor allem dann Anfang April mit Pessach.

BZ: Aber Sie wissen doch sicher beide, wie die großen Feiertage gefeiert werden?
Radbil: Trotzdem. Da hat jede Gemeinde ihre eigenen Traditionen, die möchte man ja nicht übergehen, die greift man auf und bringt zugleich auch Eigenes ein, ein neuer Rabbiner bedeutet doch auch, dass ein frischer Wind weht!
Gaber: Im Münstergottesdienst sind es vor allem die neuen Maßstäbe mit Bischofsgottesdienst und Domchor und diesen großartigen Dingen, die ihre Abläufe haben. Natürlich versucht man auch, in den Abläufen eigene Akzente zu setzen.

BZ: Welche Akzente werden Sie außerhalb Ihrer Gemeindearbeit im interreligiösen Dialog setzen?
Gaber: Ich werde auf jeden Fall 2013 die "Woche der Brüderlichkeit" mit eröffnen! Und im Übrigen fällt es uns in dieser Nachbarschaft leicht, den Kontakt zu pflegen – die Herrenstraße verbindet!
Radbil: Dieser unmittelbare Kontakt ist das eine. Darüber hinaus habe ich der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit vorgeschlagen, dass wir in Zukunft neue Schwerpunkte setzen. Zum Beispiel, dass man ein Seminar anbietet zu einem aktuellen Thema wie Organspende: Wie stehen da die Religionen zu? Seit Jahrzehnten ist das interreligiöse Dialogthema der Holocaust und die Täter-/Opfer-Frage, die Frage nach unserer Herkunft. Aber wir müssen uns auch fragen, wo wir hingehen. Das geht uns alle an!

 

ZUR PERSON: WOLFGANG GABER

 

 

Der 63-jährige Kurpfälzer ist seit September 2011 Gemeindepfarrer und Stadtdekan im Freiburger Münster und Diözesanpräses der 860 Kirchenchöre des Erzbistums. Von 1977 bis 2001 arbeitete er als Priester in Freiburg, dann als Pfarrer in Schwetzingen, einer großen Seelsorgeeinheit und als Dekan des Dekanates Wiesloch mit 32 Gemeinden und 12 Seelsorgeeinheiten.

Abraham YItzhak Radbil

Im September 2011 kam auch der 27-Jährige, gebürtig in einer ukrainischen Kleinstadt, als Deutschlands jüngster orthodoxer Ortsrabbiner nach Freiburg. Er hat als Erster nach der Shoa die Rabbinerausbildung in Deutschland absolviert – und arbeitete zwei Jahre lang als Assistenzrabbiner in Köln.

 

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